Soft Control Tag 1

Heute ein Gastbeitrag von @chris_kittel über die 2-tägige interdisziplinäre Konferenz “Soft Control: Art, Science and the Technological Unconscious” in Maribor: Gezeigt und besprochen wurden neue Strategien zeitgenössischer praktischer Kunst und Bildung im Themenbereich Technologie.

Im Zusammenhang mit der Konferenz wurde am Donnerstag, 15.11. auch eine Ausstellung eröffnet, mit Fokus auf Biotechnologie und Robotik. Sie trägt auch einen Teil dazu bei, die praktischen Beispiele zu liefern, die Donna Haraway in ihrem Essay “A Cyborg Manifesto” über Mensch-Maschine-Schnittstellen nicht liefern konnte (sagt Andrew Pickering in seiner Keynote).

Tag 1: Technological Matter and the New State of the Living

Die Konferenz wird eröffnet von Dmitry Galkin (RU, TEDxTomsk). Konzeptuelle Grundfragen sowohl der Ausstellung als auch der Konferenz sind die materielle Bedingtheit sowie technologische und kulturelle Determinierung. Die Frage nach der individuellen Definition von “Soft Control” wurde von den KünstlerInnen erst am Abend beantwortet.

Die Keynote wird gehalten von  Andrew Pickering (Science and Technological Studies, Exeter): In seiner Agenda bewegt er sich weg von der Spezifität einzelner Kunstwerke, hin zu einer Generalisierung und Kategorisierung, und setzt Kunstwerke in Bezug zueinander.

Wissenschaft

Pickering will eine Interpretationsschicht hinzufügen: Ontologie. Er identifiziert die westliche Mainstream-Tradition als den Impuls zur Repräsentation, sei es nun Landschaftsmalerei oder die Wiedergabe biblischer Motive. Dieser Impuls zur Repräsentation führe zu einer cartesischen Dualität zwischen Agents und Objekten, Motiv und KünstlerIn, Werk und InterpretierendeR. Was die Verbindung schafft, sind Sinne und Wahrnehmung. Der Dualismus setzt sich fort und beeinflusst Kunst, Wissenschaft, Bildung und Kultur, und führt so zu einer dualistischen Politik. Daraus resultiere eine relativ simple Vorstellung von Aktion-Reaktion, Handlung und Konsequenz, Ursache und Wirkung; dazwischen eine klare Trennung, keine Wechselwirkungen und der Akteur hat angeblich vollen Überblick über die Folgen und Umfang seiner Handlung. Mit einer mechanistischen Weltsicht wie dieser werden Phänomene wie Emergenz, nicht-lineares Verhalten und dynamische Systeme schwer erklärbar.

Für Pickerings neue Ontology schlägt er die Umschreibung “dance between agents” vor, in der die Menschheit nicht länger der zentrale Akteur ist, sondern agency zwischen Menschen und anderen Agents, mit den wir interagieren, hin und her springt. Er bringt als Beispiel den Versuch von US-Army Ingenieuren, den Mississippi zu bändigen, und Bonsai-Bäume, die unvorhersagbar wachsen, während der Mensch versucht, aus der zur Verfügung gestellten Form etwas Ästhetisches zu formen. “Die Daoisten hätten recht gehabt”, meint er zum Schluss.

Kunst

Um einen neuen Blick auf Kunst zu gewinnen, schlägt Pickering das Konzept der “Agency of Realism” vor. Bio-Art, Anorganische Kunst und die performative Natur, durch Technologie sichtbar gemacht (Beispiel wiredlab) gehören dazu. “Art can be extracted from lively systems, rather than designed.”

Umwelt

Das Verhältnis zwischen Verständnis, Handlung und Ergebnis sei nicht linear, sondern zirkulär. Ontologie und Aktion, und damit Ontologie und Politik hängen zusammen. “Cartesian dualism is asymmetric, we are the masters of a passive world. The agency of nature is emergent and thus will always surprise us.”

Danach spricht er noch kurz über Adaptive Eco-Engineering, Adaptive Eco-Restoration Projects, die auf eine “sanfte” Art natürliche Prozesse an die Bedürfnisse des Menschen anpasst. Als Beispiel nennt er japanisches Forst- und Gewässermanagement, das über längere Zeit kleine Anpassungen in Bepflanzung und Flußläufen vornimmt, und dazwischen längere Perioden bloßer Beobachtung. “A more daoist influenced ontology enables Soft Control.”

Polona Tratnik: Engineering Evolution

“Man is creating robots like god has created man, or rather: Man is creating robots like man has created god: after his image” (Polona Tratnik). Sie spricht über den Technological Turn: Die Menschheit ist nicht länger in Kontrolle über, sondern wurde zu einem integrierten funktionellen Bestandteil der Technologie.

Weitere Untersuchungsgebiete sind die semantischen Ursprünge von Technologie, im Kern Prozesse der Imitation und Vervollständigung dessen, was die Natur begann (Mimesis und Techné, Androiden, Bionik).

Das bedeute auch ein neues Kapitel der Kritik der Bio-Macht: Die natürliche Evolution wurde substituiert, sie passiert also nicht mehr zufällig sondern als gezieltes Programm. Das wirft die Frage auf: Wie kann man diese neue Machtform analysieren und kritisieren, und notfalls angreifen?

Leo Peschta

Ein kurzer und sehr erheiternder Vortrag über “technische Artefakte“: Der Zermesser / Secret Orchestra: Findet Muster im Großstadlärm, rekombiniert sie und spielt sie wieder / B.R.E.T.T.: restrukturiert Räume / Windrecorder: Auf den Spaziergang mitnehmen und zu Hause den Wind abspielen /  WerpBot: Hat Gesichtserkennung und wirft Dir Zigaretten in den Mund wenn Du fragst / Biketron.

“Humor can make sense of strange new encounters with technology.”

Ursula Damm

Künstlerische Auseinandersetzung mit Technologie und Umwelt. Ihre Projekte drehen sich um Ethik und Ästhetik in Technologie: z.B. Venus II, Projekt über CO2-Speicherung in Ozeanen (1994). “Treibhauskonverter (2012)”: Experimente mit Algen und LEDs, eine Installation die Interaktion zwischen BesucherIn und Algen als Ausstellungsstück ermöglicht. Es soll vor allem die Zeitverzögerung zwischen menschlicher Aktion und Umweltauswirkungen gezeigt werden – BesucherInnen können in das Experiment eingreifen, sehen im Zeitraum ihres Besuches allerdings keine Auswirkungen ihrer Handlungen.

Miomir Knezevic, Marko Strbad, Ajda Maric, Polona Tratnik: Initiation

Kurze Berichterstattung aus den Biolaboren zu “Tissue Engineering”, Gewebekonstruktion: Was ist aktuell schon machbar (zuckende Herzzellen, Haut und andere Organe, Nervenzellen), wo liegen die Anwendungsgebiete (beschädigte Körperteile ersetzen, z.B. Herzen, Luftröhren). Kurze Spekulation über 3D-Druck von Organen.

Letztendlich ein Talk über Upgrades für den Menschen auf zellulärer Ebene.

Oron Catts: Neolifism

Oron Catts bezieht eine sehr kritische Position gegenüber Transhumanistischen Bestrebungen, und weist auf die notwendige kulturelle und gesellschaftliche Reife für derartige Umbrüche hin:

“Living fragments of biological bodies, forms of lab-grown life . . . require a different epistemological and ontological understanding and, by extension, a different taxonomy of life. The liminality of this kind of technological approach to life can lead to a form of fetishism, which we call Neolifism.” (Oron Catts and Ionat Zurr, Partial Life).

In den Bestrebungen, bestimmte biologische/menschliche Eigenschaften gezielt herbeiführen zu können, werden Rahmenbedingungen wie das menschliche (oder andere) Mikrobiom, natürliche Schwangerschaft, Umweltbedingungen und soziale Prozesse ignoriert. “Neolifism” umfasst die Fragmentierung biologischer Einheiten und die Reduktion auf genetische Informationen.

STELARC

Meat, Metal and Code: Alternate Anatomical Architectures

“Körperteile, Fleisch, genetische Informationen werden kommodifiert, zu austauschbaren Waren gemacht: die Zeit wird aus den Gleichungen des Lebens entfernt, tote Körper müssen nicht zerfallen, fast-tote Körper müssen nicht sterben.”

Eine weitere Prognose die STELARC macht ist:

“Technology will disappear, because it is going to be localized inside the human body, in form of nanoscale sensors and machines, fulfilling medical supervision, adding additional senses and functions.”

Andere Projekte die er umgesetzt hat – immer mit seinem Körper als integralem Bestandteil der Kunst, teilweise als der Funktion einer Maschine unterworfenes Objekt – sind: 3 Meter seiner Innereien filmen, sich an Fleischerhaken aufhängen (lange) – und er hat sich ein Ohr in den Unterarm operieren lassen, das wireless-access hat: „we need to engineer additional internet enabled organs“.

In einer kurzen Reflexion über Maschinen macht er die Beobachtung, dass komplexes Verhalten auch Ergebnis einfacher Aktionen in einem komplexen Umfeld ist.

Und ein letztes Zitat von ihm: „a prosthesis [can be seen] not as a sign of lack, but as a sign of excess“.

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